Interpellation Flüchtlinge und Gastfamilien

Interpellation Flüchtlinge und Gastfamilien 8. November 2023

Sehr geehrter Herr Präsident, geschätzte Damen und Herren,

Im Namen der Interpellanten bedanke ich mich für die zeitnahe Beantwortung der Interpellation «Flüchtlinge und Gastfamilien».

Das Thema Flüchtlinge und Gastfamilien ist aktueller denn je. Denn aufgrund der zunehmenden weltweiten Unruhen in Kombination mit den klimatischen Verschärfungen ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich nächste Flüchtlingswellen in Gang setzen. Ergänzend wird uns je länger je bewusster, dass wir auf der Ebene der unbegleiteten minderjährigen Asyl-Suchenden (der Umas) sehr aktuelle Herausforderungen haben, für die «Gastfamilien» ein wichtiger Faktor sein könnte. Da hinein überzeugt die Antwort des Regierungsrates nur teilweise. Wir erhofften uns eine sorgfältigere Analyse zugunsten nächster Herausforderungen. Das ist eine Geschichte, die nicht zu schnell abgehakt werden darf. Deshalb beantrage ich Diskussion.

Votum:

Auf der verbalen und medialen Ebene bekam ich anfangs der Flüchtlingskrise den Eindruck, dass in Zusammenhang mit Gastfamilien primär die Risiken und Schwierigkeiten gesehen werden. Zwischendurch erklärte ich mir den Rückgang von Zuweisungen an Gastfamilien als sich selbst erfüllende Prophezeiung. Da hinein ist dieser Bericht ein echter Mehrwert, da er sichtbar macht, wie wichtig u.a. das Engagement der Kirchen insbesondere in der ersten Phase war und wie sehr das Engagement der Gastfamilien geschätzt wird. Kürzlich bekam ich vom Initianten von «Kirchen helfen», von Paul Bruderer einige Zahlen:

  • Am Donnerstag brach der Krieg aus.
  • Am Sonntagnachmittag wurden erste Kirchen aktiv
  • Am Montag waren bereits erste Flüchtlinge unterwegs nach Frauenfeld
  • Stadtpräsident Anders Stockholm konnte sie am Dienstag, fünf Tage nach Kriegsausbruch begrüssen. Gleichentags wurde die Webseite aufgeschaltet, relativ schnell Anfragen im Minutentakt, zwei Teilzeitanstellungen
  • innert kürzester Zeit standen 2000 Wohnungen zur Verfügung und Peregrina fragte an, ob sie von dieser Infrastruktur profitieren können.

Wir haben eine Bewegung erlebt, die die hilfsbereite Lokalbevölkerung würdigt, erkennt, was für eine Kraft gerade in Krisen mobilisiert werden kann; eine Dynamik, die nicht zuletzt auch zeigt, dass Gastfreundschaft im Christentum historisch eine grosse und ernstzunehmende Komponente ist.

Wo ich aber nach wie vor Fragen habe, das ist der Punkt, in dem es heisst: «Zivilgesellschaftliche und kirchliche Angebote können und sollen ergänzend wirken, wo der Staat kein Angebot bereitstellt.» Doppelspurigkeiten brauchen wir keine. Aber gibt es wirklich nur das entweder oder?

Ein Beispiel: Diesen Sommer wurde über eine mediale Notiz sichtbar, dass in Baselland das Amt für Kind, Jugend und Behindertenangebote (AKJB) 2015 die Verantwortung übernahm für die Unterbringung der UMA im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe und begann, die Unterbringung von UMA zu professionalisieren – auch die Unterbringung in Pflegefamilien. Durch meine Nachfrage beim AKJB erfuhr ich, dass zur Zeit im Kanton Basel-Landschaft 32 UMA bei einer Pflegefamilie leben, weitere rund 125 UMA werden in Wohngruppen betreut. Aktuell werden dringend zusätzliche Pflegefamilien gesucht. Um hier weiter zu kommen, sucht Baselland die Zusammenarbeit mit einer Stiftung Jugendsozialwerk (JSW). Denn «wir erhoffen uns zusätzliche Plätze für UMA in Pflegefamilien zu gewinnen. Dies in der Annahme, dass die Stiftung Jugendsozialwerk mit ihrem evangelischen Hintergrund und ihren Netzwerken eine bisher für diese Aufgabe nur teilweise erreichte Bevölkerungsgruppe ansprechen wird.»

Dort wo wir Flüchtlinge aufnehmen, ist es im Interesse aller Beteiligten, dass die Integration schnell ermöglicht wird. Es kann einen grossen Unterschied machen, wenn junge Erwachsene durch eine Gastfamilie direkte Bezüge bekommen und sich durch die Kumulation verschiedener Kulturen nicht Unruheherde entwickeln.

Ich weiss vom SRK Thurgau, dass sie nach wie vor Gastfamilien hätten, die bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Es ist gut möglich, dass darunter auch Familien sind, die bereit sind, sich als Pflegefamilien für UMAS einzubringen. Aus meiner Sicht wäre es lohnend, solche Möglichkeiten im Sinne eines «Miteinander» sowohl über das SRK wie über kirchenhelfen auch im Thurgau zu prüfen.

Ein zweiter Punkt, der mich nach wie vor umtreibt, das ist die Souveränität der politischen Gemeinden. «Pauschale, kantonsweite Massnahmen erscheinen dem Regierungsrat als wenig erfolgsversprechend.» heisst es in der Antwort zu Frage 3.  Ja, der Thurgau ist heterogen. Nicht einmal die Buchhaltungen der Gemeinden können direkt miteinander verglichen werden. Die Souveränität der politischen Gemeinden ist wohl nirgends so gross, wie im Thurgau. Aber ist es nicht gerade deshalb nötig, gut hinzuschauen und sich nicht vorschnell aus dem Schneider zu nehmen?

Der Ruf der Sozialämter ist gemischt.

  • Es wirft Fragen auf, wenn in der Rechnung 2022 der politischen Gemeinde X unter «Asylwesen Schutzstatus S» ein Gewinn von 90'000.- ausgewiesen wird, inkl. Verrechnung der Löhne des Verwaltungspersonal und der «internen Verrechnung Personal» und gleichzeitig nicht die empfohlenen Beträge an Gastfamilien bezahlt werden.
  • Es schmerzt und macht die Runde, wenn in der Gemeinde Y eine Gastfamilie die hochschwangere Frau und deren Familie aufnimmt, sich weit aus dem Fenster lehnt, aber während Monaten von der politischen Gemeinde keinen Rappen kommt.
  • Es ist nicht wirklich nachvollziehbar, wie eine Gemeinde Z auf die Idee kommen kann, pauschal zu entscheiden, den Gastfamilien jeweils nur die Hälfte der Beiträge auszubezahlen.

Dabei sind dem TKöS solche Geschichten bekannt. Jürg Bruggmann, Präsident der Thurgauer Konferenz öffentlicher Sozialämter, äusserte sich in diesem Zusammenhang wie folgt: «Die Qualität ist uns ein Anliegen. Die vier M sind elementar: ‘Man muss Menschen mögen’. Bei den Sorgenfällen der Sozialämter stehen Leute an der Spitze, die eigentlich Menschen nicht gern haben.»

Das Dumme ist nur: Solche Geschichten sind nicht die Regel. Ich diskutierte mit Ratskollegen, ob ich die Namen dieser Gemeinden publik machen soll, um den Generalverdacht abzuwenden und habe mich noch einmal dagegen entschieden. Denn der grosse Teil der Sozialämter arbeitet offensichtlich kompetent. Die Sozialämter haben zugelegt im Bereich «Strukturierung». In letzter Zeit gelangen zentralisierte Zusammenschlüsse, um kompetenter handeln zu können. Sozialämter haben sich mächtig ins Zeug gelegt während der Flüchtlingskrise, zum Teil grenzwertig intensiv. Wir können dankbar sein, dass nicht mehr Leiterinnen und Leiter von Sozialämtern im Burnout landeten. Es läuft wirklich Vieles gut!

Letzte Woche begegnete ich bei der Hilfsorganisation Pro Schule Ost drei Frauen. Ruth hilft seit längerem mit beim Verpacken des Materials für den Osten. Mit dabei waren ihre Gäste, für die sie in ihrem Wohnhaus den oberen Stock freigaben. Tanja, die jüngere Frau der Flüchtlingsgruppe, arbeitet seit Mai in der Spitalküche. Sie ist gefragte Fachperson. Vom Kanton braucht sie für sich, ihren Sohn und die Schwiegermutter keine Beiträge mehr. Der Ehemann von Tanja, der vor Kurzem nachzog, wartet auf die Arbeitsbewilligung des Migrationsamtes. Er möchte möglichst bald wieder als Pizzabäcker arbeiten können. Natürlich wollte ich wissen: «Und wie lief es mit dem Sozialamt?» «Tip top, unkompliziert und gut!» Die Gastfamilie bekam die empfohlenen, vollen Beträge. So soll es sein!

Gerade deshalb wäre es lohnend, wenn zum Beispiel das Thema «Rekurs-Möglichkeiten» geklärt und offensiv kommuniziert wird, kantonsweit koordiniert. Jürg Bruggmann leitet in Weinfelden das Sozialamt. Von ihm erfuhr ich, dass von Weinfelden eine Gastfamilie beim DFS vorstellig wurde mit einem Rekurs. Der Rekurs wurde abgelehnt, da Weinfelden zu Recht Finanzen für die Wohnsituation nicht in der vollen Höhe auszahlte aufgrund des nahen Verwandtschaftsgrades. Gleichzeitig bekam Michael Anderegg, Geschäftsleiter des SRK den Eindruck: «Gemeinden können machen, was sie wollen». Die oben erwähnte Gemeinde Z teilte z.Bsp. der betroffenen Gastfamilie schriftlich mit, warum bei ihnen der Gastfamilien-Beitrag monatlich nur 100.-/Person ist, also nur 50% der Empfehlung. In der schriftlichen Antwort wurde die Option «Rekurs» nicht ansatzweise aufgeführt. Was gilt nun? Gibt es Rekursmöglichkeiten?

Wenn uns die Souveränität der Gemeinden wichtig ist, so ist hier Klärung nötig. Zumindest die Rekursmöglichkeiten müssten kantonsweit geklärt werden. Das muss im Interesse aller Beteiligten sein.

Geschätzter Regierungsrat Urs Martin, du bist jung und dynamisch. Bei dieser Thematik wären wir dankbar, wenn anstelle einer schnellen Antworten ein systematisches und sorgfältiges Weiterverfolgen der Thematik «Flüchtlinge und Gastfamilien» erfolgen würde.

Danke für das wohlwollende Aufnehmen dieser Gedanken!    

Christian Stricker
Kantonsrat EVP  

#Flüchtlinge
#Gastfamilien